1. Sofortige Aufhebung des § 209 StGB durch den Verfassungsgerichtshof
Die 23. Generalversammlung der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien fordert den Verfassungsgerichtshof auf, noch in seiner Frühjahrssession 2002 Paragraph 209 StGB als verfassungswidrig aufzuheben.
Unabhängig davon, wie rasch sich der VfGH zur Aufhebung des § 209 entschließt, wird in einigen Monaten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg diese Strafbestimmung aller Voraussicht nach als Menschenrechtsverletzung aufheben. Daher gehen wir davon aus, daß die diesjährige Generalversammlung der HOSI Wien die letzte ist, bei der § 209 noch besteht, und richten deshalb bereits heute unsere konkreten Forderungen an Politik und Gesellschaft für die Zeit nach der Beseitigung dieser letzten strafrechtlichen Diskriminierung und Verfolgung Homosexueller in Österreich.
2. Entschuldigung durch das Parlament
Analog zur Entschließung des deutschen Bundestags vom Dezember 2000, der damit nicht nur die homosexuellen NS-Opfer rehabilitierte, sondern auch sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, daß das Totalverbot nach § 175 im Strafrecht der BRD noch bis 1969 in Kraft blieb, fordern wir eine Entschließung des Nationalrats, in der dieser:
3. Rehabilitierung der Opfer
Mit dieser Entschließung sind konkret:
Darüber hinaus ist gleichzeitig die Entschädigung der tausenden Opfer dieser staatlichen Unterdrückungspolitik zu regeln (zwischen 1945 und 1971 wurden rund 15.000 Verurteilungen nach § 129 I b ausgesprochen, seit 1971 rund 1.500 nach den §§ 209, 210, 220 und 221), und zwar:
Da viele Opfer heute nicht mehr am Leben sind, ist an deren statt ein entsprechender Teil der Entschädigungszahlungen an die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung zu entrichten, um die Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung zu erforschen bzw. um Maßnahmen zur Bewußtseinsbildung in der breiten Bevölkerung zu setzen.
4. Einsetzung einer nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission
Mit der Beseitigung der letzten strafrechtlichen Diskriminierung Homosexueller, einer Entschuldigung des offiziellen Österreichs sowie der erwähnten Entschließung kann indes noch kein endgültiger Schlußstrich unter diesen dunklen Abschnitt der österreichischen Geschichte gezogen werden. Politik und Gesellschaft haben unermeßliche Schuld auf sich geladen.
Erst durch die Aufarbeitung des in der Vergangenheit zugefügten Unrechts kann das traurige Kapitel der Kriminalisierung und Pathologisierung der Homosexualität abgeschlossen und die Grundlage für einen neuen Umgang der Gesellschaft mit ihren homosexuellen MitbürgerInnen geschaffen werden: statt Ausgrenzung und Diskriminierung Gleichstellung und Gleichberechtigung.
Für diese Aufarbeitung fordern wir die Einsetzung einer nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission. Sie soll das volle Ausmaß der Unterdrückung und Verfolgung von Lesben und Schwulen im vergangenen Jahrhundert ebenso untersuchen wie die Ursachen dafür, warum es in Österreich – im Gegensatz zu den allermeisten Staaten Europas – möglich war, daß die strafrechtliche Diskriminierung Homosexueller bis ins 21. Jahrhundert fortdauern konnte.
Weitere Aufgaben dieser Wahrheits- und Versöhnungskommission müssen u. a. sein:
Insbesondere politische Parteien, die Kirchen und andere maßgebliche gesellschaftliche Kräfte – wie etwa die Massenmedien, die Medizin, die Wissenschaft, MeinungsmacherInnen, KünstlerInnen, Intellektuelle usw. – sind eingeladen und aufgefordert, sich in einer gemeinsamen Anstrengung an dieser Vergangenheitsbewältigung zu beteiligen, ihre jeweilige Rolle an der Verfolgung und Unterdrückung bzw. ihre Untätigkeit im Kampf dagegen zu hinterfragen und ihre Verantwortung dafür zu übernehmen.